Alle meine Ex-Freunde (Metamorphosen 17)

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Verbrecher Verlag 2017. 100 Seiten.

Metamorphosen 17. Magazin für Literatur und Kultur. Gastherausgeber: Marc Degens.

Über AltLit, New Sincerity und das radikal autobiographsiche Schreiben mit digitalen Schreibwerkzeugen

Mit  Texten von Sofia Banzhaf, Beach Sloth, Megan Boyle, Jordan Castro, Elizabeth Ellen, Spencer Madsen, Adeline S. Manson, Memeoji, Guillaume Morissette, Tao Lin, Stacey Teague, Nadia de Vries und einer Einführung von Marc Degens.

Übersetzt von Tobias Amslinger, Ann Cotten, Marc Degens, Moritz Müller-Schwefe, Clemens J. Setz, Lukas Valtin, Michael Watzka und Ron Winkler. [  -> ENGLISH ]

»Die unter dem Titel ›alle meine ex-freunde‹ versammelten und erstmals auf Deutsch erschienenen Prosatexte, Blogeinträge, Gedichte und Interviews bieten eine wertvolle Einführung in die derzeit wahrscheinlich bedeutendste Spielart post-postmodernen Schreibens – die so oder so ähnlich in Deutschland bislang kaum zu existieren scheint.« (Jonathan Schaake, ltrtr)

 

Vorwort: Alle meine Ex-Freunde. Radikal autobiographisches Schreiben heute

In seiner Serie »Removed« zeigt Eric Pickersgill Fotos von Menschen, die auf ihre Smartphones schauen, auf denen die Geräte allerdings retuschiert wurden. Es sind Bilder von intimer Nähe. Auf einem liegen eine Frau und ein Mann Rücken an Rücken unter einer Bettdecke und starren in ihre leeren Hände. Die Blicke sind konzentriert, doch die digitalen Welten sind verloren, wodurch die Szenerie etwas Groteskes, Verstörendes und Trauriges bekommt.

Die Texte, die die Personen auf ihren Geräten gelesen haben könnten, versammelt diese Ausgabe der metamorphosen. Es sind Gedichte, Erzählungen und Journale, die fast alle auf Webseiten und Blogging-Plattformen veröffentlicht wurden und dort zum jetzigen Zeitpunkt im englischsprachigen Original auch noch nachzulesen sind. Die Mehrzahl ihrer Autoren wird mit der sogenannten Alt-Lit-Bewegung assoziiert. Der Begriff kam 2011 auf und ist eine Abkürzung für »alternative literature«. Das eigene Leben steht bei Alt Lit im Zentrum des Schreibens. Die Texte verzichten in der Regel auf Fiktion, sind oft sehr privat und thematisieren den eigenen Alltag, Beziehungen, Drogenerlebnisse, Sex- und Lektüreefahrungen. Sie entstehen meist auf dem Computer oder auf dem Smartphone und werden auf Blogging-Plattformen wie Tumblr und WordPress oder in Sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook veröffentlicht. Auf die Textgestalt hat das digitale Schreibgerät einen wesentlichen Einfluss. Posts, Tweets, Verse oder Kommentare sind manchmal nur zwei, drei Buchstaben lang, bestehen aus technischen Abkürzungen, Emoticons oder URLs. Auch die Prosa neigt zur Kürze und ist geprägt von klaren, einfachen Sätzen, die mitunter die Schreibgewohnheiten aus Chatdialogen nachahmen. Texte greifen auf die Listenform zurück, die Sprache ist auf ein Minimum reduziert und in ihrem extremen Minimalismus lesen sich manche Passagen wie Kopierfehler:

„Thank you for the awkward situation“, Andrew says. „What?“ Matt says. „Thank you for the awkward situation“, Andrew says. „What?“ Matt says. „Thank you for the awkward situation“, Andrew says.

Der Dialog stammt aus Tao Lins erstem Roman »Eeeee Eee Eeee«. Lin gilt als Pionier der Alt Lit und hat mit seinen frühen Gedichtbänden, Kurzgeschichtensammlungen und ersten beiden Romanen zwischen 2006 und 2010 die Strömung thematisch und formal entscheidend geprägt. Bekannt wurde er zudem als Kleinverleger, Filmemacher und spektakulärer Selbstpromoter. Auf der Webseite Muumuu House versammelte er zudem Erzählungen, Gedichte oder ausgewählte Tweets von nahestehenden Autoren. In ihrer schonungslosen, oft mit distanzierter Stimme erzählten Drastik erinnern viele Texte an William S. Burroughs semi-autobiographischen Heroinroman »Junk« (1953), einem klassischen Werk der Beat-Generation, der nach Allen Ginsberg »engelköpfigen Hipster«. Auf Ginsbergs epochales Gedicht »Howl« nimmt wiederum die mit Alt Lit assoziierte Dichterin Luna Miguel Bezug:

I have also seen the best minds of my generation
destroyed by the emoticon.
I have seen their inexpensive faces.
I have read their photocopied poems.
I do not know their violence
but I sense a new howl.

Für Aufsehen in der New Yorker Literaturszene sorgte 2011 die auf Muumuu House veröffentlichte Kurzgeschichte »Adrien Brody« von Marie Calloway, eine Schlüsselerzählung, in der die Autorin ihr Verhältnis mit einem vierzigjährigen Redakteur schildert. »Adrien Brody« ist eine provokante Meditation über sexuelle Abhängigkeit, Emanzipation und politisches Bewusstsein mit pornographischen Elementen, deren Stil stark von Lin beeinflusst wurde, der auch selber in der Erzählung als Figur mit Klarnamen auftaucht. Der Text steht in der Tradition einer Literatur des Verrats, wie man sie von anderen radikal autobiographischen Autoren wie Chris Kraus (»I love Dick«) oder Karl-Ove Knausgård (»Min Kamp«) kennt, die oft ungefragt ihr komplettes Umfeld zum Gegenstand ihrer Literatur machen. Im Zuge des Skandals wurde die Autorin für ihre Erzählung im Internet beschimpft und erhielt sogar Morddrohungen.

Obwohl zahlreiche mit Alt Lit assoziierte Autoren in New York leben und die Stadt oft als Bezugspunkt und Handlungsort vorkommt, ist Alt Lit eine internationale Erscheinung. Für die Kommunikation und den Vertrieb ist das Internet unerlässlich. Das der Alt Lit verpflichtete, monatlich erscheinende PDF-Literaturmagazin »Shabby Doll House« wird von drei Autorinnen redigiert, die auf drei Kontinenten, in Europa (Lucy K Shaw), Nordamerika (Sarah Jean Alexander) und Australien (Stacey Teague) angesiedelt sind. Viele Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe sind selbst Plattformbilder und betreiben Editionen in Kleinverlagen wie Elizabeth Ellen (SF/LD Books), Webmagazine wie Beach Sloth oder Kleinstpressen wie Spencer Madsen (Sorry House), in denen fremde wie auch eigene Werke erscheinen. Auch hier gibt es Berührungspunkte zu älteren autobiographisch schreibenden Autoren, die wie Chris Kraus (Semiotext(e)) oder Karl-Ove Knausgård (Pelikanen) eigene Kleinverlage betreiben. Der Wunsch, Leben in Literatur auszustellen, beschränkt sich offenkundig nicht auf eigene Texte, sondern bezieht auch Werke anderer Autoren mit ein.

Alt Lit ist eine Globalisierungserscheinung. Das verbindende Mittel sind globalisierte Erlebniswelten (Einkaufsmalls, Fastfood-Ketten, Franchiseunternehmen) und die englische Sprache, die im Fall der niederländischen Autorin und Kleinverlegerin Nadia de Vries anstelle der Muttersprache als Literatursprache gewählt wird. Die Literaturarbeit beschränkt sich nicht nur auf das Schreiben, sondern sucht nach Möglichkeiten der Vernetzung; die Autoren experimentieren mit alternativen Vertriebs- und Veranstaltungsformen. Sie treffen sich in der »Mellow Pages«-Leihbibliothek in New York mit über 4.500 Titeln aus Klein- und Independent-Verlagen, organisieren Lesungen, betreiben wie Stacey Teague die »subbed in«-Literaturgesellschaft in Sydney oder engagieren sich wie Guillaume Morissette in dem von jungen Dichtern in Montreal gegründeten Kleinverlag Metatron, der jährlich eine Buchveröffentlichung als Hauptpreis eines Literaturwettbewerbs auslobt. Diese gemeinsamen Aktivitäten sind für den Austausch unter den Autoren oft wichtiger als formale Gemeinsamkeiten zwischen den Texten, überdies stehen sie durch Chat- und Kommentarfunktionen in einem sehr direkten Verhältnis zum Leser.

Tao Lins zweiter Roman trägt den Titel »Richard Yates«, »ohne dass man nach der Lektüre zwingend sagen könnte, warum dem so ist«, schreibt Rainer Moritz in seinem Buch über den im letzten Jahrzehnt wiederentdeckten amerikanischen Schriftsteller. »Yates’ Bücher tauchen bei Tao Lin nur sporadisch auf; eines von ihnen dient als Mousepad.« Lins Berufung bezieht sich allerdings auf etwas Tiefgründigeres, das als Folie unter seinem Roman liegt: Es ist Yates’ Forderung nach schriftstellerischer Aufrichtigkeit, die Blake Baileys monumentale Yates-Biographie »A Tragic Honesty« aus dem Jahr 2003 im Titel führt.

Eine andere Spur führt zur New Sincerity, einer interdisziplinären Kunstrichtung, deren Werke sich durch Ernsthaftigkeit und einen übersensiblen Realismus mit romantischen, utopischen und surrealen Elementen auszeichnen. Hierzu zählen Filme von Charlie Kaufman und Michel Gondry, die Musik von Devandra Banhart und The Moldy Peaches, die Comics von Gabrielle Bell und Lisa Hanawalt oder die literarischen, filmischen und künstlerischen Arbeiten von Miranda July. Alt Lit wirkt wie eine Spielart dieser Richtung, geschrieben von einer jüngeren Generation, deren Literatur auf digitalen Schreibgeräten entsteht und deren Blick skeptisch, ironisch und distanziert ist. David Foster Wallace gilt als Stammvater der New Sincerity und Spencer Madsens erster selbstverlegter Gedichtband trägt als Klappentext einen Rezensionsauszug aus der Besprechung der New York Times von Wallace‘ Epochenroman »Infinite Jest«. Auch Megan Boyle bezieht sich in einem YouTube-Clip auf Wallace und hat Ausschnitte aus einem Fernsehinterview mit ihm zu einem dreieinhalbminütigen Nachdenken, Stammeln und Hadern zusammenmontiert.

Wie bei Yates beschränkt sich die Auseinandersetzung nicht nur auf literarische Aspekte, sondern bezieht auf subtile Art auch die Wirkungsgeschichte und die tragischen Lebensumstände mit ein. Im Falle von Yates den nachlassenden schriftstellerischen Erfolg und die Alkoholkrankheit am Ende seines Lebens, im Falle von Wallace seine Depression, die 2008 schließlich zu seinem Suizid führte.

Wie viele radikal autobiographische Schriftsteller sind Alt-Lit-Autoren auch häufig extreme Zeitdokumentaristen. Im März 2013 begann Megan Boyle mit ihrem »Liveblog«-Projekt auf Tumblr, eine »schmerzvoll aufrichtige und rohe Aufzeichnung eines menschlichen Lebens«, wie die Schriftstellerin Juliet Escoria schrieb. Digitale Aufzeichnungstechniken führen zu neuen Möglichkeiten der Zeitdokumentation und Alt Lit weitet den Textbegriff aus und bezieht auch Tweets, Videos, Selfies und Bildschirmfotos in die Literaturproduktion mit ein. In seiner Dokumentationssucht erinnert Boyles Liveblogging an Georges Perecs »Versuch einer Bestandsaufnahme aller flüssigen und festen Nahrungsmittel, die ich im Verlauf des Jahres 1974 hinuntergeschlungen habe«. Auch mit der Philosophie des Uncreative Writing von Kenneth Goldsmith gibt es Überschneidungen: Goldsmith legte mit seinem Buch »Day« eine 836 Seiten lange, eng bedruckte wortgetreue Abschrift der New-York-Times-Ausgabe vom 1. September 2000 vor. 2015 unterrichtete er an der Universität von Pennsylvania den Kurs »Wasting Time on the Internet« und pries in seinem gleichnamigen Buch das Zeitverschwenden im Internet als Quelle künstlerischer Inspiration.

Wenn man sich einflussreiche Avantgardegruppen wie Dada oder die Beats anschaut, fällt auf, dass den Kern der Bewegung eine kleine Gruppe von gut miteinander bekannten Personen bildete, die sich oft in jungen Jahren kennenlernten. Alt Lit stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar, unterscheidet sich allerdings insofern von früheren Gruppen, als dass durch die Internetkommunikation die regionale Nähe für die Gruppenbildung heute eine weniger wichtige Rolle spielt. Die Stil-Vielfalt innerhalb der Alt Lit ist enorm. Die Texte stammen von Hochschulabsolventen, Studienabbrechern und Autodidakten und in der Alt Lit treffen amateurhafte und akademische Schreibweisen aufeinander. Dadurch, dass das Publizieren im Internet oft impulsiv geschieht und Zwischeninstanzen wie Lektoren oder Redakteure meistens fehlen, behalten die Texte häufig ihre wilde, dilettantisch anmutende Form. Die Grammatik ist schief, die Zeitformen geraten durcheinander, einige Texte strotzen vor Rechtsschreibfehlern und Buchstabendrehern. Gleichzeitig führt diese ungefilterte Spontaneität aber auch zu einer großen Experimentierfreude und inhaltlichen Radikalität und Ehrlichkeit, die als das Hauptziel beim Schreiben angestrebt wird.

I talked to him about my writing, and how I was afraid to publish it.
»I feel like they would edit my writing so it would be technically better, but less honest and expressive.«
»Yeah, but I think you can find a balance between those things.«
»But I’m not interested in a balance.«
(Marie Calloway, Adrien Brody)

In seinem vierten, semi-autobiographischen Roman »Taipei« geht Tao Lin mit drei Freunden, die alle auch schreiben, ins Kino und die vier twittern unter Heroineinfluss gemeinsam über den X-Men-Film »First Class«. Lin zitiert aus den Tweets und über den Hashtag #xmenlivetweet lässt sich der reale Tweet-Dialog der vier Personen komplett nachlesen. Die Romanhandlung setzt sich damit außerhalb des Buches in der Timeline der vier Autoren fort, zur Roman- und Twitter-Zeit kommt sogar noch eine dritte zeitliche Ebene hinzu, die Filmzeit, in der man die Tweets parallel zur Zeitachse des Spielfilms Szene für Szene nachvollziehen kann. In solchen Momenten zeigen sich die aufregenden Möglichkeiten, die ein multimediales, medienübergreifendes Schreiben für das Aufbewahren von Zeit bieten, und mit denen die Autoren der Alt Lit erfolgreich experimentieren.

Typisch für die Kultur im Internet, sind die Strukturen der Alt Lit unterfinanziert. In den Texten herrscht ein starker Alltagsbezug vor. Alt Lit hat zu einer Gedicht-Renaissance geführt, doch kurze Formen haben es schwer auf einem Buchmarkt, auf dem Gedichtsammlungen und Erzählungsbände eine untergeordnete Rolle spielen. Das Schreiben dient vor allen Dingen als private Bereicherung, wendet sich im zweiten Schritt an die Leser und erst im letzten an die Buchkäufer. Wie die meisten radikal autobiographischen Literaturrichtungen hat Alt Lit keine nennenswerten Theatertexte hervorgebracht, auffallend ist jedoch, dass es auch nur eine geringe Zahl an Romanen gibt, die eigentlich klassische Erzählform autobiographischen Schreibens. Neben Tao Lins und Ben Brooks’ Romanen zählt hierzu noch Guillaume Morissettes Roman »New Tab«, der 2014 veröffentlicht wurde, im selben Jahr wie die beiden maßgeblichen Alt-Lit-Anthologien »The Yolo Pages« und »40 Likely to Die Before 40«.

Dass keine weiteren Alt-Lit-Anthologien folgten, hängt maßgeblich mit einer Debatte zusammen, die im September 2014 ihren Ausgangspunkt nahm, als auf Medium.com der Text »We don’t have anything to do« von Sophia Katz veröffentlicht wurde. Wie Calloway berichtet die zwanzigjährige Autorin von einem Aufenthalt in New York und dem Zusammensein mit einem neun Jahre älteren, »Stan« genannten, Autor und Redakteur eines Alt-Lit-Magazins, dem sie vorwarf, sie im Laufe ihres einwöchigen Aufenthalts dreimal zum Sex gezwungen zu haben. In der Folge erhoben weitere Frauen Vorwürfe und die Debatte weitete sich auf mehrere männliche Autoren und Redakteure der New Yorker Alt-Lit-Szene aus. Zur gleichen Zeit meldete sich auch E.R. Kennedy, die heute als Mann lebende ehemalige Freundin Tao Lins zu Wort, der die weibliche Hauptfigur in Tao Lins Roman »Richard Yates« nachempfunden ist. In einer Serie von Tweets warf Kennedy, der während der Beziehung mit Lin erst sechzehn Jahre alt gewesen war, Lin emotionale und künstlerische Ausbeutung und sexuelle Nötigung (»sexual assault«) vor. Die anschließende Diskussion wurde heftig geführt, viele Autorinnen und Autoren meldeten sich mit kontroversen Ansichten zu Wort, für die sie mitunter ebenso übel beschimpft wurden wie die inzwischen mit Klarnamen genannten vermeintlichen Täter und Opfer. »Shitstorms« trafen fast alle Beteiligten und ließen niemanden aus.

Innerhalb weniger Wochen hatte sich das einst hippe Label in ein Schimpf- und Tabuwort verwandelt, wobei Alt Lit auch schon früher starker Kritik ausgesetzt war. Die Schreibweisen und Verfahren galten als flach und anspruchslos, man warf den Texten Trivialität und erzählerische Langeweile vor und den Autoren Selbstverliebtheit. Andere deuteten Alt Lit als digitale Elendsliteratur und Zeichen einer Wohlstandsverwahrlosung einer vornehmlich weißen Autorenschicht. Kritik kam auch schon von Alt-Lit-Autoren selber, wie etwa Gabby Bess’ Plädoyer gegen den Dokumentarismus Megan Boyles, so dass es viele als Erleichterung empfanden, als im Dezember 2014 das »Ende« von Alt Lit ausgerufen wurde und das Label ersatzlos gestrichen wurde. Heutzutage halten nur noch wenige Autoren an dem Label fest, meist in trotzig selbstironischer Weise, aber auch wenn das Label verschwunden sein mag, die zugehörige Literatur und ihre Errungenschaften sind es nicht.

Diese Ausgabe der metamorphosen möchte die Vielfalt der Schreibweisen und Themen von Alt Lit darstellen und konzentriert sich dabei vor allen Dingen auf die (semi-)autobiographischen Elemente. Die Schwierigkeiten einer gedruckten Anthologie mit Texten, von denen die meisten für das Internet entstanden sind, ist, dass sie diese nur eingeschränkt abbilden kann und auf Links, beigefügte Fotos und Kommentare verzichten muss. Insofern sei ein Nach- und Weiterlesen der Texte im Internet ausdrücklich empfohlen. Der Band spannt den Bogen von vier Gedichten aus Tao Lins erstem Gedichtband »you are a little bit happier than i am« (2006) hin zu den Erzählungen, Gedichten und Journaleinträgen von Sofia Banzhaf, Memeoji und Adeline S. Manson, die allesamt keine Alt-Lit-Autorinnen sind, deren Texte und Schreibweisen allerdings in entscheidender Weise von ihr geprägt wurden.

Der Titel dieser Ausgabe ist eine Kombination aus zwei Schlüsseltexten der Alt Lit, die auch in diesem Band abgedruckt sind: Megan Boyles »Mit wem ich bisher Sex hatte« und Jordan Castros »Alle meine Ex-Dealer«. Der Titel impliziert einen Beziehungsbruch und weist auf die Lesart autobiographischer Texte als Literatur des Verrats hin – er lässt sich aber auch als düstere Prophezeiung lesen, als Bedrohung einer globalisierten Literatur, deren Strukturen und Netzwerke auf Reise- und Kommunikationsfreiheit und deren Texte auf geistiger Freiheit gründen und die durch Nationalismus und Populismus akut gefährdet sind. Mögen aus Freunden keine Ex-Freunde werden!

Mein Dank zum Schluss gilt allen Autoren und Übersetzern sowie den Redakteuren der metamorphosen, die weit über den Globus verstreut sind, und ganz besonders Alexandra Gerstner und Valentine A. Pakis.

Marc Degens, März 2017, Toronto

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